Little Home: ein kleines Haus für obdachlose Menschen (2024)

Von Claudia Wohlert

Die Gefahr, seine Wohnung zu verlieren und schlimmstenfalls in die Obdachlosigkeit abzurutschen, ist nicht mehr nur ein Problem von Randgruppen. Einer, der bei diesem Thema nicht wegschaut, ist Sven Lüdecke, Vorsitzender des Vereins Little Home. Er baut kleine Häuser (Little Homes) mit einer Wohnfläche von etwa 3,5 m². Sie sollen das Leben obdachloser Menschen sicherer und stressfreier gestalten. Die Häuser stehen auf Rollen, damit keine Baugenehmigungen notwendig sind. Im Inneren befindet sich alles Notwendige: eine Matratze, eine Chemietoilette, ein Waschbecken, eine Arbeitsfläche mit Kochmöglichkeit, ein Regal, ein Erste-Hilfe-Set und ein Feuerlöscher. Sven Lüdecke, Gründer des Vereins Little Home, sprach mit Claudia Wohlert über das erfolgreiche Projekt, wie sie sich organisieren und warum es zu Problemen mit Engagierten kam.

Fundraising-Echo: Little Home ist ein kleines Haus, das Obdachlosen ein Gefühl von eigenen vier Wänden, auch wenn sie klein sind, und Sicherheit geben kann. Aber es gibt nicht nur positive Unterstützung für das Projekt.

Little Home: ein kleines Haus für obdachlose Menschen (1) Sven Lüdecke © Little Home

Sven Lüdecke: Das stimmt. Die grundlegenden Fragen für einen Obdachlosen sind: Wo verstecke ich meine Sachen, damit sie in meiner Abwesenheit nicht gestohlen werden? Wo kann ich geschützt und trocken schlafen? Diese Fragen nehmen wir mit den Little Homes weg. Kritiker meinen, dass die Unterbringung in den Little Homes menschenunwürdig ist, da sie nicht den fachlich anerkannten Standards für Notunterbringungen entsprechen. Aber wir sind nicht die Lösung des Problems Obdachlosigkeit, sondern eine Lösung vor der Lösung.

Fundraising-Echo: Ursprünglich war das Projekt Little Home ein Kunstprojekt. Was war der Anstoß?

Sven Lüdecke: Angefangen hat das Ganze, als ich hörte, dass eine obdachlose Frau nachts um halb vier den Kölner Bahnhof verlassen musste. Ich dachte, dass darf nicht sein, ich muss etwas tun. Daraufhin baute ich das erste Haus, bemalte die Wände und verschenkte es. Durch die Bemalung wurde das Haus zu einem Kunstprojekt, das im öffentlichen Raum anders bewertet wird als eine Wohnmöglichkeit.

Fundraising-Echo: Warum haben Sie nach dem ersten Haus weitergemacht?

Sven Lüdecke: Wir haben gemerkt, wie Menschen sich ändern, wenn sie in den kleinen Hütten leben. Sie sind motivierter, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Sie bekommen erneut Mut und Hoffnung, sich selbst aus den schwierigen Umständen herauszuziehen. Sie sagen sich: Ich möchte mein Leben ändern. Ich will weg von der Straße. Ich möchte eine eigene Wohnung. Inzwischen stehen in sechs Bundesländern 69 Little Homes. Von den Bewohnern fanden 19 eine Arbeit und 25 eine Wohnung, und das in nur zwei Jahren.

Fundraising-Echo: Nach welchen Kriterien wählen Sie die Menschen aus?

Little Home: ein kleines Haus für obdachlose Menschen (2) Obdachloser in seinem neuen „Little Home". © Little Home

Sven Lüdecke: Wenig Alkohol, keine Drogen und besonders viel Lust, die Straße zu verlassen. Das Haus bedeutet viel Verantwortung für den Bewohner. Er muss es ordentlich halten, damit er den Platz nicht verliert. Dementsprechend können wir nicht jeden nehmen. Inzwischen ist die Warteliste für Little Homes auf über 15.000 Menschen angestiegen. Das Auswählen ist mit das Schlimmste. Hierzu werden Einzelgespräche geführt. Die Lust, die Straße zu verlassen, ist mitentscheidend.

Fundraising-Echo: Wurden überwiegend Häuser an Männer vergeben?

Sven Lüdecke: Nein. Natürlich haben wir einen größeren Männeranteil, aber wir versuchen, die Häuser zu gleichen Teilen an Frauen und Männer zu übergeben.
Frauen gehen auf der Straße eher eine Abhängigkeit ein, um geschützt zu sein. Sie erbringen Dinge, die sie gar nicht möchten, nur damit sie nicht auf der Straße landen. Das ist auch mit ein Grund, warum wir eher Frauen helfen möchten als Männern.

Fundraising-Echo: Ein Haus, das an einen Obdachlosen verschenkt wird, kostet 1.050 Euro. Wie finanziert sich der Verein?

Sven Lüdecke: Wir finanzieren uns aus Spendengeldern und Mitgliedsbeiträgen. Mitglieder zahlen fünf Euro im Monat. Unser jüngstes Mitglied ist neun Jahre alt.

Fundraising-Echo: Welche Spendergruppen sprechen Sie an?

Sven Lüdecke: Bislang machen wir noch keine geplanten Fundraising-Aktionen. Wir erreichen die Spender nur, wenn Medien über Little Home berichten. Durch die Einzigartigkeit des Projektes genießen wir eine hohe Präsenz in den Medien. Sobald über das Projekt berichtet wird, gibt es Spenden, sonst nicht.

Fundraising-Echo: Werden die Spender Mitglieder in Ihrem Verein?

Sven Lüdecke: Nein, Spender werden nicht zwangsläufig Mitglieder. Eine Mitgliedschaft ist unabhängig von Spenden.

Fundraising-Echo: Wie genau ist Ihr Verein organisiert?

Sven Lüdecke: Für die einzelnen Bundesländer, in denen wir vertreten sind, wählen die Mitglieder während der Mitgliederversammlung Regionalleiter. Die Regionalleiter übernehmen die Verantwortung vor Ort und organisieren die Bau-Events. Sie sprechen mit den Medien und versuchen, Spenden zu generieren. Somit läuft nicht alles über Köln, den Sitz des Vereins.

Fundraising-Echo: Die Häuser werden von Freiwilligen in den jeweiligen Städten gebaut. Wie finden Sie diese Menschen?

Sven Lüdecke: Über die sozialen Netzwerke wie zum Beispiel Facebook. Dort starten wir regelmäßige Aufrufe. Inzwischen existiert schon eine lange Warteliste von Freiwilligen aus verschiedenen Regionen Deutschlands. Soll ein neues Projekt verwirklicht werden, schreiben wir die Freiwilligen an und fragen, ob sie uns unterstützen möchten.

Fundraising-Echo: Wie betreuen Sie Ihre Ehrenamtlichen?

Sven Lüdecke: Wir pflegen regelmäßig zu jedem Kontakt. Aufgrund der vielen Ehrenamtlichen geht es nicht immer, dass ich persönlich in Kontakt mit ihnen bin. Deshalb kontaktieren die gewählten Regionalleiter der jeweiligen Region sie. In Zukunft soll es auch Stammtische geben, an denen ich versuche teilzunehmen.

Fundraising-Echo: In den Städten existieren bereits Gruppen, die Obdachlosen helfen. Welche Erfahrungen haben Sie mit denen gemacht?

Sven Lüdecke: Ich finde es gut, dass es so viele unterschiedliche Gruppen zur Betreuung der Obdachlosen gibt. Ob es nun darum geht, Essen Schlafsäcke oder Kleidung zu verteilen, alles, was obdachlosen Menschen hilft, ist sehr wichtig. Doch leider besteht unter den einzelnen Gruppen ein Konkurrenzverhalten, das auch wir zu spüren bekamen. Little Home wurde unter anderem in den sozialen Medien angegriffen.

Fundraising-Echo: In einzelnen Medien wurde Ihnen unterstellt, dass Sie Spendengelder unterschlagen hätten. Was sagen Sie dazu?

Little Home: ein kleines Haus für obdachlose Menschen (3) Little Home im Park © Little Home

Sven Lüdecke: Es gab einen Fall in Nürnberg, wo der Verein Little Home sehr engagierte Unterstützer hatte, die gern die Regionalleitung übernehmen wollten. Zu dem Zeitpunkt war es aber nicht möglich, einen Regionalleiter zu bestimmen, da nur von der Mitgliederversammlung Regionalleiter gewählt werden können. Das Vereinsgesetz erlaubt es nicht, dass der Vorsitzende Regionalleiter bestimmt. Die Unterstützer hatten sich im November 2017 für Little Home engagiert, die Mitgliederversammlung war aber erst im Sommer 2018. Erst ab der Regionalleiterwahl erhält der Gewählte die Vollmacht über die ec-Karte und das Unterkonto. Im Fall Nürnberg wollten die Unterstützer aber sofort die Vollmacht. Inzwischen wurden auf unserer Homepage die juristischen Belege für unser korrektes Verhalten veröffentlicht.
Um in Zukunft solchen Missverständnissen vorzubeugen, hat die letzte Mitgliederversammlung beschlossen, dass ein Aufsichtsrat als zusätzliches Gremium eingeführt wird, der neben der Kontroll- auch eine Beraterfunktion hat.

Fundraising-Echo: Wo sehen Sie Little Home in 20 Jahren?

Sven Lüdecke: Ziel ist es, dass wir keine Little Homes mehr brauchen. Wir hoffen, dass durch unsere Öffentlichkeitsarbeit so viel Aufmerksamkeit auf Regierungsebene generiert werden kann, dass Obdachlosigkeit auf Bundesebene angegangen wird. Es muss zusätzlich adäquater Wohnraum geschaffen werden. Unser vorrangiges Ziel ist jetzt erst einmal, so viel Spenden zu sammeln, dass Little Home eigenen Wohnraum für obdachlose Menschen schaffen kann.

Sven Lüdecke, Gründer und 1. Vorsitzender des Vereins Little Home Köln e.V., stammt aus Bernau in der Nähe von Berlin. Nach einem Auslandsaufenthalt spezialisierte sich der Fotograf immer mehr auf Innenarchitektur-Fotografie. Nachdem er von Berlin nach Köln gezogen war, gründete Lüdecke dort Ende 2016 den Verein Little Home Köln e.V., der kleine mobile Häuser für obdachlose Menschen baut. Er lebt frei nach dem Motto: „Kein Mensch macht einen Fehler in seinem Leben. Erst rückwirkend betrachtet entstehen Fehler."
Little Home: ein kleines Haus für obdachlose Menschen (2024)

FAQs

Was kostet ein Little Home für Obdachlose? ›

Sven Lüdecke wirkt überzeugt, wenn er über seine Little Homes spricht. Er ist der Gründer des gleichnamigen Vereins, der Obdachlosen in ganz Deutschland eigene vier Wände im kleinen Rahmen ermöglicht. 3,5 Quadratmeter, zusammengebaut aus Grobspanplatten, Paletten und Isolierdecken. Materialkosten: 5.000 Euro.

Wie sieht ein Little Home aus? ›

Sie heißen Little Home. und sind 3,2 m² groß

Die mobilen Wohnboxen sind aus Holz und werden direkt an obdachlose Menschen verschenkt. Im Inneren jedes Hauses gibt es eine Matratze, ein Erste-Hilfe-Set, ein Feuerlöscher, ein Regal und eine Campingtoilette.

Warum finden Obdachlose keine Wohnung? ›

Die meisten Obdachlosen haben laut der Studie schon mal in einer Unterkunft für Wohnungslose gelebt. Als Gründe, warum sie dennoch auf der Straße lebten, gaben sie häufig an, dass dort zu viele Menschen untergebracht sei oder ihnen die Unterkünfte zu gefährlich seien, weil man sie dort etwa bestehlen könne.

Wie viele Obdachlose gibt es in Hamburg? ›

Bislang sind im Jahr 2022 23 von ihnen auf Hamburgs Straßen gestorben. Hamburg – Sie schlafen unter Brücken, in Parks oder auf Lüftungsschächten. Rund 19.000 Obdachlose leben in Hamburg – und viele sterben häufig auch auf den Straßen der Hansestadt, knapp zwei Dutzend sind es in diesem Jahr bislang in Hamburg.

Wie hoch ist die Grundsicherung für Obdachlose? ›

Die Modalitäten sind sehr unterschiedlich. Die Höhe des Tagesgeldes ist direkt abhängig von der gesetzlich geregelten Höhe des monatlichen Bedarfes zur Grundsicherung des Lebens. Gegenwärtig sind das 359 € im Monat bzw. 12,13 € pro Tag.

Was kostet ein Little Log House? ›

Die Kosten für die mobilen Minihäuser variieren von 41.350 Euro bis 56.000 Euro, für das Modulhaus mit 39,2 Quadratmeter zahlt man ab 77.000 Euro.

Wie teuer ist das günstigste Tiny House? ›

Preise für Tiny-House-Fertigbausätze

Der Preis für ein Fertigbausatz-Tiny House beginnt bei 9.900 Euro. Zu diesem Preis verkauft Kleiner Nomade seinen Rohbausatz "Pure".

Wer lebt im Tiny House? ›

Tiny Homes eignen sich für Singles, allenfalls für Paare. Familien stellt ein Leben im Mikrohaus vor immense Herausforderungen. Der Mangel an Stauraum zwingt dazu, den Hausrat auf ein notwendiges Minimum zu begrenzen. Auch Barrierefreiheit lässt sich im Tiny House kaum verwirklichen.

Wie bekommt man ein Tiny House? ›

In Deutschland ist es nicht möglich, Tiny Houses ohne Baugenehmigung einfach auf irgendein Grundstück zu setzen. Wenn Sie dauerhaft darin wohnen wollen, benötigen Sie fast immer eine Baugenehmigung. Denn in diesem Fall wird das Tiny House als Gebäude eingestuft.

Wie lange schlafen Obdachlose? ›

Insgesamt acht Prozent der Obdachlosen berichteten, dass sie weniger als vier Stunden am Tag schlafen, verglichen mit drei Prozent in der Allgemeinbevölkerung. Obdachlose Frauen berichteten zweimal häufiger als Männer, dass sie weniger als vier Stunden in der Nacht schlafen.

Wo gibt es die meisten Obdachlosen auf der Welt? ›

Laut Statistischen Bundesamt kommen auf 100.000 Einwohner 1.000 Wohnungslose - verglichen mit anderen Großstädten ein Rekord.

Wie lange lebt ein Obdachloser? ›

Eine Statistik sagt, dass die durchschnittliche Verweildauer in der Obdachlosigkeit etwa 4 Jahre beträgt, 11% sind länger als 10 Jahre obdachlos.

Was kann man Obdachlosen kaufen? ›

Das kann ein warmer Tee, Wasser, ein Brötchen, Kleidung oder auch Geld sein. Dinge nur in der Qualität spenden, in der ich sie selbst annehmen würde. Und viele freuen sich über ein nettes Hallo oder ein Gespräch.

Was tun um nicht obdachlos zu werden? ›

Wohnungsverlust: Wie lässt sich Obdachlosigkeit vermeiden?
  1. Fachstellen für Wohnungsnotfälle beraten Betroffene. ...
  2. Wohnungsnot erschwert bei Zwangsräumung Suche. ...
  3. Kommunale Unterkünfte oft mit niedrigen Standards. ...
  4. Notunterkünfte verletzen "Menschenrecht auf Wohnen" ...
  5. EU fordert Beendigung der Obdachlosigkeit bis 2030.
Dec 17, 2021

Wo leben in La Obdachlose? ›

Gleich neben dem Bankenbezirk von Los Angeles liegt Skid Row: ein Viertel, in dem etwa 8000 Obdachlose in Zelten oder auf der Straße leben. Eine Laufgruppe hilft Drogenabhängigen und ehemaligen Sträflingen, ihre Sucht zu bekämpfen und ihre Leben zu ordnen. Doch es geht um viel mehr.

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Fr. Dewey Fisher

Last Updated:

Views: 5803

Rating: 4.1 / 5 (42 voted)

Reviews: 81% of readers found this page helpful

Author information

Name: Fr. Dewey Fisher

Birthday: 1993-03-26

Address: 917 Hyun Views, Rogahnmouth, KY 91013-8827

Phone: +5938540192553

Job: Administration Developer

Hobby: Embroidery, Horseback riding, Juggling, Urban exploration, Skiing, Cycling, Handball

Introduction: My name is Fr. Dewey Fisher, I am a powerful, open, faithful, combative, spotless, faithful, fair person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.